Dokumentiert: Trauer und Protest: Die Stadt ruft zum Gesicht-Zeigen gegen Rechts auf

Trauer und Protest: Die Stadt ruft zum Gesicht-Zeigen gegen Rechts auf
Gedenken und Bedenken zum Tag der Stadtzerstörung am 16. Januar 1945
Zum 63. Mal jährte sich gestern der Tag der Zerstörung Magdeburgs am 16. Januar. In einer Gedenkveranstaltung auf dem Westfriedhof, bei Konzerten und beim Friedensgebet im Dom gedachten Magdeburger der Opfer von Krieg und Gewalt. Zur schlechten Tradition zum Anlass sind in Magdeburg und in anderen Städten geschichtsverfälschende und die deutsche Kriegsschuld leugnende Aufmärsche Rechtsextremer geworden. Oberbürgermeister Lutz Trümper ( SPD ) und das „Bündnis gegen Rechts“ riefen gestern die Magdeburger dazu auf, dem am Sonnabend demonstrativ zu begegnen.

Magdeburg. „Wir dürfen es nicht zulassen, dass Ewiggestrige und rechte Gruppierungen das Gedenken an die Zerstörung unserer Stadt missbrauchen, um ihr fremden- und demokratiefeindliches Gedankengut zu verbreiten“, sagte Trümper gestern auf einer von großem Medieninteresse begleiteten gemeinsamen Pressekonferenz mit dem „Bündnis gegen Rechts“ im Rathaus. An der Front des Hauses flaggte die Stadt die unmissverständliche Parole : „Magdeburg ist bunt, nicht braun“. Transparente mit diesem und ähnlichen Bekenntnissen gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit werden am Sonnabend im ganzen Stadtgebiet aufgehängt. An dem Tag wollen Neonazis aus ganz Sachsen-Anhalt und aus anderen Bundesländern in Magdeburg aufmarschieren. Etwa 500 Teilnehmer werden erwartet.

„Hingucken, nicht weggucken“, fordert entschieden die ehemalige Superintendentin des Evangelischen Kirchenkreises Magdeburg und seit vielen Jahren beständig gegen rechtsextreme Tendenzen ankämpfende Waltraut Zachhuber vom „Bündnis gegen Rechts“. Zachhuber weiter : „Weggucken kann seinen Grund in Angst, Desinteresse oder in der Haltung haben, das Problem werde schon von selbst wieder vorübergehen. Aber das ist falsch. Wir müssen Gesicht und Courage gegen Rechts zeigen und sehr darauf achten, dass Trauer und Schrecken über die Stadtzerstörung nicht für einseitige Hasskampagnen und die Verbreitung nationalsozialistischen Gedankengutes missbraucht werden. Dagegen müssen wir auf die Straße gehen.“

Trümper, der zum ersten Mal Seite an Seite mit dem „Bündnis gegen Rechts“ zur Pressekonferenz ins Rathaus geladen hatte, gestand vormalige Bedenken : „Wir haben in der Stadt jahrelang darüber gestritten, und auch ich habe dazu verschiedene Meinungen gehabt, ob wir die rechtsextremen Aufmärsche einfach ignorieren oder dagegen auf die Straße gehen sollten, auch auf das Risiko hin, dass Container brennen und Flaschen fliegen. Aber wir sind zur Erkenntnis gekommen, dass wir den Rechten an diesem Tag nicht die Straße überlassen dürfen. Wir müssen zeigen, dass die große Mehrheit der Magdeburger mit ihnen nichts am Hut hat. Wir hoffen auf eine breite Beteiligung der Normalbevölkerung an unserer Gegenaktion und darauf, dass sie friedlich verläuft und auch dass linke Demonstranten gewalttätige Störungen unterlassen.“Zwischen 10. 30 und 15 Uhr sind die Magdeburger am kommenden Sonnabend zur Demonstration unter dem Motto „Der 16. Januar 1945 mahnt uns : Früh aufwachen gegen Rechts!“ eingeladen. Den entsprechenden Aufruf haben neben dem Oberbürgermeister zahlreiche weitere Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft unterzeichnet, so zum Beispiel die beiden Magdeburger Bischöfe Gerhard Feige und Axel Noack, Unirektor Klaus Erich Pollmann und Hochschulrektor Andreas Geiger, FCM-Präsident Volker Rehboldt, Domprediger Giselher Quast, Innenminister Holger Hövelmann (SPD) und Landtagspräsident Dieter Steinecke (CDU) sowie weitere Stadt- und Landespolitiker von SPD, CDU, FDP, Grünen und der Linken.

Am Vortag des 16. Januar 2005, dem 60. Jahrestag der Stadtzerstörung, hatte Magdeburg sich erstmals mit massiven Aktionen gegen einen Rechtenaufmarsch zur Wehr gesetzt. Rund 1300 Menschen kamen zur Gegendemonstration, etwa 300 Magdeburger bildeten eine Menschenkette um den Dom, als Neonazis eine Kundgebung auf dem Platz davor abhielten und reinigten ihn im Anschluss symbolisch mit Besen vom braunen Ungeist.Im Januar 2007 untersagte die Stadt mittels einer neuen Friedhofssatzung erstmals einen Aufmarsch auf dem Westfriedhof und ließ einen Kranz mit deutlich neonationaler Aufschrift vom Gedenkplatz entfernen. In der Folge demonstrierten Rechtsextreme drohend vor dem Wohnhaus des Oberbürgermeisters und skandierten diffamierende Parolen. Der Einschüchterungsversuch misslang und machte Trümper umso entschiedener in seinem öffentlichen Auftreten gegen Rechts.

Quelle: www.volksstimme.de, 17.01.2008

Ablauf der Protestaktionen am 19. Januar 2008:

10.30 Uhr  Auftaktveranstaltung am Haupteingang des Westfriedhofes
11.00 Uhr   Demonstration über die Große Diesdorfer Straße in Richtung Hauptbahnhof
gegen 11.30 Uhr  Zwischenkundgebung am Westring (Redebeitrag zum Thema „Zwangsarbeit und KZ-Haft“), weiter über den Adelheidring, Damaschkeplatz in Richtung Ernst-Reuter-Allee
gegen 12.00 Uhr  Zwischenkundgebung in Höhe der Brandenburger Straße (Redebeitrag zum Thema „Stolpersteine in Magdeburg“), weiter über die Otto-von-Guericke-Straße und Julius-Bremer-Straße zum Platz an der Alten Synagoge
gegen 12.30 Uhr  Zwischenkundgebung am Synagogenmahnmal (Redebeitrag zum Thema „Erst wurde die Synagoge zerstört und dann die ganze Stadt“), weiter über den Breiten Weg
gegen 13.00 Uhr  Ankunft am Hundertwasserhaus
ab 13.30 Uhr  Abschlusskundgebung (Redebeiträge: Oberbürgermeister Lutz Trümper, Innenminister Holger Hövelmann, Landtagspräsident Dieter Steinecke, DGB-Landesvorsitzender Udo Gebhardt u. a., Musik)
15.00 Uhr  Ende der Aktion
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