Was Neonazis mit ihrem „Trauermarsch“ wollen

Am 22. Januar wollen Neonazis erneut an die Bombardierung Magdeburgs am 16. Januar 1945 mit einem Trauermarsch „erinnern“. Haben sich in der Vergangenheit an diesen Aufmärschen bis zu 1.200 Menschen beteiligt, sind es zuletzt nur einige Dutzend gewesen. Mit dem Rückgang der Teilnehmenden-Zahlen hat er seine auratische Wirkung für die Szene verloren. Die rechtsextreme Jugendkultur, aus der er sich speiste, ist Vergangenheit. Der „Trauermarsch“ ist für die Neonazi-Szene vor Ort dennoch ein zentrales Ereignis.

Der Aufmarsch soll die eigene Anhängerschaft mobilisieren und die Binnenidentität stärken. Geschichtspolitische Postulate sollen das eigene – menschenverachtende – Handeln legitimieren. Die Choreographie des „Trauermarschs“ dient unter Bezugnahme auf eine nationalsozialistische Formensprache der identitären Selbstvergewisserung neonazistischer Akteur*innen. Letzt endlich geht es um ein Bekenntnis zum Nationalsozialismus.

Inhaltlich zielt der jährliche Neonazi-Aufmarsch auf die Rehabilitierung des Nationalsozialismus, die Dämonisierung der Alliierten im Zweiten Weltkrieg und die Verharmlosung der NS-Verbrechen. Die Gleichsetzung der Toten in den Konzentrations- und Vernichtungslagern mit denen der Luftangriffe auf deutsche Städte verharmlost die Shoa. Der Zusammenhang zwischen alliierten Städtebombardements und der deutschen Aggression eines Angriffs- und Vernichtungskrieges gegen die europäischen Nachbarstaaten wird verleugnet. Relativierung und Verharmlosung der Shoa und der Verbrechen der Wehrmacht finden ihren Ausdruck auch bei den Opferzahlen. In Anlehnung an die Opferstilisierung des NS-Regimes und der Propaganda des Kalten Kriegs zu DDR-Zeiten wird beständig von mindesten 16.000 Bombenopfern geredet.

Der rechtsextremen Indienstnahme des 16. Januars 1945 müssen Kontexte und Fakten entgegengestellt werden. Das Ziel der Alliierten war die Befreiung Europas und Deutschlands vom Nationalsozialismus. Die Bombardierung Magdeburgs steht damit im Zusammenhang mit der Beendigung dieses mörderischen Regimes. Diese Sicht schließt auch die Trauer um die Toten der Bombenangriffe auf Magdeburg ein.

Zur Geschichte der neonazistischen „Trauermärsche“ und der Proteste dagegen haben wir zusammen mit Miteinander e.V. 2016 eine Broschüre veröffentlicht. Zur Geschichte des Gedenkens an die Bombardierung Magdeburgs am 16. Januar 1945 empfehlen wir eine Text des Historikers Pascal Begrich, der 2020 bei Miteinander e.V. veröffentlicht wurde.

16. Januar: Gedenken, Mahnung, Solidarität

Auch in diesem Jahr will die extreme Rechte an dem Gedenktag an die Bombardierung Magdeburgs im Zweiten Weltkrieg am 16. Januar für eine Rehabilitierung des Nationalsozialismus auf die Straße gehen.

Wir vom Bündnis gegen Rechts Magdeburg setzen dagegen gemeinsam mit „Oldies for Future“ das Gedenken, die Mahnung und die Solidarität.

Wir setzen dagegen das Gedenken. Wir gedenken der Opfer von Ausgrenzung, Rassismus und Antisemitismus in der NS-Zeit. Wir gedenken der Opfer des Holocaust und des deutschen Vernichtungskriegs.

Wir setzen dagegen die Mahnung. Auch in unserer Zeit werden Menschen auf Grundlage von menschenverachtenden Ideologien angegriffen und getötet. Wir erinnern an das tagtägliche Leid und die Verunsicherung von Menschen durch Rechtsextremismus, Ausgrenzung und Diskriminierung. Gemeinsam mit Betroffenen und Angehörigen rechter und rassistischer Gewalt erwarten wir konsequente Aufklärung und entschiedenes politisches Handeln.

Wir setzen dagegen die Solidarität. Besonders in Zeiten der Pandemie handeln wir mit Achtsamkeit und Respekt gegenüber unseren Mitmenschen. Wir halten Mahnwache und sind dabei aufmerksam füreinander, um andere nicht zu gefährden.

Wir laden ein zu einer Gedenkzeit am 16. Januar um 15.00 Uhr am Mahnmal für die zerstörte Synagoge mit anschließender Mahnwache. Zum Infektionsschutz bitten wir Teilnehmende um die Nutzung einer geeigneten Mund-Nasen-Bedeckung und die Wahrung des Mindestabstandes.

Weitere Veranstaltungen am 16. Januar sowie im Rahmen der Aktionswoche „Eine Stadt für alle“ finden Sie hier.

Zum Hintergrund des 16. Januar empfehlen wir das miteinanderaktuell vom 16. Januar 2020, zur Geschichte des Naziaufmarsches und der Proteste unsere Broschüre „Magdeburg im Januar“ gemeinsam mit Miteinander e.V. von 2016.

Informationen zum 17. Januar


Wieder einmal will die extreme Rechte den Gedenktag an die Bombardierung Magdeburgs im Zweiten Weltkrieg für einen Aufmarsch nutzen.
Wieder einmal sagen wir Nein zu diesem Versuch der Rehabilitierung des Nationalsozialismus.
Wieder einmal gehen wir deshalb auf die Straße: Wir wollen an die historischen Kontexte erinnern und für eine friedliche und solidarische Welt eintreten.

„Für eine friedliche und solidarische Welt – gegen Rassismus und Gewalt“

Das Bündnis gegen Rechts beteiligt sich daher an der Aktionswoche „Eine Stadt für alle“ und lädt zu einem Gang mit Kerzen und Musik durch die Magdeburger Innenstadt ein. Wir beginnen um 17.00 Uhr mit einer Kundgebung und Installation am Mahnmal für die zerstörte Synagoge in der Julius-Bremer-Straße und werden dann entlang verschiedener Erinnerungs- und Gedenkorte bis zum Willy-Brandt-Platz gehen. Unterstützt werden wir dabei durch den Förderverein Neue Synagoge Magdeburg e.V., die Magdeburger Dombläser, den Stadtjugendring, den Stura der Hochschule Magdeburg-Stendal, eine Trommelgruppe und eine Sambagruppe. Wir bitten darum, Kerzen selbst mitzubringen, z.B. von der Aktion „Magdeburg singt für eine weltoffenes Stadt“ am 16. Januar.

Weitere Veranstaltungen

Unsere Liste der Veranstaltungen nach dem 17. Januar finden Sie hier.

Wir rufen alle Menschen in Magdeburg auf: Beteiligen Sie sich an den zahlreichen Aktivitäten der verschiedenen Akteure am 17. Januar und in der gesamten Aktionswoche! Lassen Sie uns gemeinsam deutlich machen: Magdeburg ist weltoffen und sagt Nein zu Hass, Antisemitismus, Rassismus und Relativierung der NS-Verbrechen!

FAQs

Warum ist der 16. Januar so ein zentraler Gedenktag für Magdeburg?
Die Bombardierung Magdeburgs im Zweiten Weltkrieg war ein einschneidendes Ereignis. Mehr als 2.000 Menschen kamen ums Leben, fast die gesamte Innenstadt wurde zerstört. Die Spuren der Zerstörung sind bis heute noch sichtbar. Auch nach 75 Jahren ist der 16. Januar der zentrale Gedenktag – im Sinne einer öffentlichen historischen Rückbesinnung. Er ist wichtiger Bezugspunkt sowohl für Verwaltung, Politik und Zivilgesellschaft als auch für die extreme Rechte. (vgl. hierzu auch das miteinanderaktuell vom 16.01.2020)

Warum mobilisiert die extreme Rechte zum Gedenken an den 16. Januar?
Seit 2001 nehmen Neonazis den Jahrestag der Bombardierung zum Anlass für Kundgebungen, „Trauermärsche“ und Wortbeiträge. Dabei nehmen rechtsextreme Akteure für sich in Anspruch, ein Gedenken an die Opfer der Bombardierung zu repräsentieren, welches „jenseits von Anpassung an den Zeitgeist ein Zeugnis der Leiden der Deutschen gibt.“ Der Aufmarsch ist Ausdruck einer geschichtspolitischen Fundamentalopposition. So werden historische Ereignisse unter den Händen rechtsextremer Kampagnen zur Imagination einer deutschen Geschichte, welche den Nationalsozialismus rehabilitiert. In rechtsextremer Deutung erscheint die NS-Zeit als ein im Kern tugendhafter und ehrenvoller Zeitabschnitt, welchen die Sieger des Zweiten Weltkrieges aus Gründen der Herrschaftssicherung und der mentalen Umerziehung der Deutschen zu diskreditieren suchten.

Wer mobilisiert für den rechtsextremen „Trauermarsch“?
Neben der Teilnahme rechtsextremer Akteure am lokalpolitischen Erinnerungsdiskurs und den öffentlichen Gedenkaktivitäten hat eine Initiative „Ehrenhaftes Gedenken Magdeburg“ zu einem Trauermarsch am Abend des 17. Januar aufgerufen. Die Mobilisierung erfolgt vor allem im Umfeld von NPD, der ehemaligen MAGIDA-Bewegung und neonazistischen Strukturen im nördlichen Sachsen-Anhalt.

Mit wie vielen Teilnehmenden ist zu rechnen?
Geschichtspolitische Aufmärsche hatten seit 2014 deutlich an Attraktivität für die rechte Szene verloren. Dies lag nicht zuletzt an der zivilgesellschaftlichen Gegenwehr. Geschichtspolitik ist allerdings eines der Kernthemen der extremen Rechten geblieben. Im Schatten rechtspopulistischer Mobilisierungserfolge der letzten Jahre hatte es allerdings bereits im Januar 2018 erneut einen Aufmarsch mit 150 Neonazis gegeben. Bleibt es bei diesem Kreis an Teilnehmenden aus der Region, werden sich wohl weniger als 200 Personen versammeln. Gelingt es den Organisator*innen, Akteure auch überregional zu mobilisieren, könnten es auch mehrere Hundert Teilnehmende werden.

Wo werden die extremen Rechten laufen?
Eine genaue Route ist bisher nicht bekannt. In den Sozialen Medien wird zu 19h00 zum Hauptbahnhof mobilisiert. Denkbar wären eine innerstädtische Demonstrationsroute oder der Gang zum Westfriedhof. Die Erfahrung mit den Trauermärschen der Vorjahre lehrt jedoch, dass der Aufmarsch je nach Entscheidung der Versammlungsbehörde überall im Stadtgebiet stattfinden könnte.

Wo kann man sich am 17. Januar informieren?
Auf den Veranstaltungen wird es jeweils aktuelle Informationen geben. Das Bündnis gegen Rechts wird am Abend über den eigenen Twitterkanal (@BgRMagdeburg) informieren. Zudem wird wahrscheinlich der Presseservice Rathenow vor Ort sein und twittern. Auch das Bündnis Solidarisches Magdeburg hat angekündigt, über seinen Twitterkanal zu informieren. Außerdem gibt es einen Liveticker der Volksstimme.

17. Januar: Für eine friedliche und solidarische Welt – gegen Rassismus und Gewalt

Gang mit Kerzen und Musik durch die Innenstadt am 17. Januar 2020 ab 17.00 Uhr

 

Wieder einmal will die extreme Rechte den Gedenktag an die Bombardierung Magdeburgs im Zweiten Weltkrieg für einen Aufmarsch nutzen. Wieder einmal sagen wir Nein zu diesem Versuch der Rehabilitierung des Nationalsozialismus. Wieder einmal gehen wir deshalb auf die Straße: Wir wollen an die historischen Kontexte erinnern und für eine friedliche und solidarische Welt eintreten.

Das Bündnis gegen Rechts beteiligt sich daher an der Aktionswoche „Eine Stadt für alle“ und lädt zu einem Gang mit Kerzen und Musik durch die Magdeburger Innenstadt ein. Wir beginnen um 17.00 Uhr mit einer Kundgebung am Mahnmal für die zerstörte Synagoge in der Julius-Bremer-Straße und werden dann entlang verschiedener Erinnerungs- und Gedenkorte bis zum Willy-Brandt-Platz gehen.Unterstützt wird der Gang durch die Magdeburger Dombläser, eine Trommelgruppe und eine Sambagruppe. Wir bitten darum, Kerzen selbst mitzubringen, z.B. von der Aktion „Magdeburg singt für eine weltoffenes Stadt“ am Vortag.

Wir rufen alle Menschen in Magdeburg auf: Beteiligen Sie sich an den zahlreichen Aktivitäten der verschiedenen Akteure am 17. Januar und in der gesamten Aktionswoche! Lassen Sie uns gemeinsam deutlich machen: Magdeburg ist weltoffen und sagt Nein zu Hass, Antisemitismus, Rassismus und Relativierung der NS-Verbrechen!

Unsere Informationsseite mit weiteren Veranstaltungen finden Sie hier.

19. Januar: Weltoffenheit braucht Erinnerung und sichtbaren Protest gegen Hass und Rassismus

Der 16. Januar bleibt umkämpft. Erneut will ihn die extreme Rechte für einen Aufmarsch nutzen, der sich in der Form am Nationalsozialismus orientiert und diesen rehabilitieren will. Für ein demokratisches Gedenken an den Bombenkrieg heißt das, die historischen Kontexte und die Vielfalt der Perspektiven wahrzunehmen – auch und gerade jenseits der nationalsozialistischen Mehrheitsgesellschaft.

Das Bündnis gegen Rechts Magdeburg beteiligt sich daher an der Aktionswoche Weltoffenes Magdeburg mit zwei Veranstaltungen am 19. Januar – dem Tag des geplanten neonazistischen „Trauermarschs“:

„Magdeburg im Nationalsozialismus. Ein Stadtrundgang zu Geschichte und Gegenwart“ (in Kooperation mit der Ev. Sekundarschule und Miteinander e.V.)

  • Beginn: 14h00 auf dem Willy-Brandt-Platz/vor dem Hbf.
  • Ende: 15h30 auf dem Alten Markt

Kundgebung: „Weltoffenheit braucht Erinnerung. Für eine aktive und kritische Auseinandersetzung mit der NS-Zeit“

  • Beginn: 16h00 auf dem Domplatz

Weltoffenheit braucht neben der Erinnerung sichtbaren und öffentlichen Protest gegen den Versuch der Rehabilitierung des Nationalsozialismus. Wir rufen daher auf: Beteiligen Sie sich an den zahlreichen Aktivitäten der verschiedenen Akteure! Lassen Sie uns gemeinsam deutlich machen: Magdeburg ist weltoffen und sagt deutlich und sichtbar Nein zu Hass, Rassismus und Gewalt!

Weitere Veranstaltungen und Aktivitäten am 19. Januar:

Zuletzt aktualisiert: 18. Januar 13h30. Kurzfristige Änderungen sind möglich. Diese Seite wird fortlaufend bis einschließlich 18. Januar aktualisiert. Am 19. Januar informieren wir über unsere Accounts bei Facebook und Twitter.

 

Zum Hintergrund

Anlässlich des Gedenkens an die Zerstörung Magdeburgs im Zweiten Weltkrieg marschierten zwischen 2001 und 2016 jährlich Neonazis durch die Stadt. Die sog. Trauermärsche entwickelten sich – neben den Demonstrationen in Dresden –  für die rechtsextreme Szene zum wichtigsten Aufmarsch mit Bezug zum Nationalsozialismus. Zu Hochzeiten mobilisierte die „Initiative gegen Vergessen“ bis zu 1.500 Teilnehmende nach Magdeburg. Im Schein von Fackeln zogen sie durch die Innenstadt. Neonazistische Kader aus dem gesamten Bundesgebiet sprachen auf den Kundgebungen.

In Folge eines Generationenwechsels in der Neonazi-Szene und der nachlassenden Mobilisierungsfähigkeit zu geschichtspolitischen Themen löste sich die Gruppe der Initiatoren aus dem Umfeld der Magdeburger „Kameradschaft Festungsstadt“ und der örtlichen NPD auf. Zuletzt waren es Protagonisten der Neonazi-Kleinstpartei DIE RECHTE, die sich um eine Wiederbelebung des neonazistischen Gedenkens an die Bombardierung Magdeburgs mühten. Doch sie kamen über symbolische Zeichen wie Kranzniederlegungen und Kerzenaktionen nicht hinaus.

Für den angekündigten „Trauermarsch“ am 19. Januar 2019 hat sich ein neuer Veranstalterkreis gebildet. Er besteht aus Neonazis, die auch für den Magdeburger PEGIDA-Ableger MAGIDA verantwortlich zeichneten, sowie regionalen Aktivisten von DIE RECHTE und der rechtsextremen  „Bürgerbewegung Altmark“.

Akteure aus diesem Umfeld hatten bereits am 10. November 2018 einen ersten Mobilisierungserfolg in Magdeburg erzielt. Unter dem Namen „Bürgerinitiative Magdeburg“ organisierten sie einen Fackelmarsch. Unterstützt von Neonazis aus der Altmark, aus Brandenburg und aus Sachsen zogen ca. 800 Neonazis durch das Stadtzentrum.

Mit ihrem Aufruf für Januar wollen die Neonazis an die Erfolge des zurückliegenden Jahrzehnts und die Mobilisierungsdynamik anknüpfen. So ist für Samstag mit rund 500 Teilnehmenden zu rechnen.