Niemand hat uns geholfen. Nicht die Polizei, nicht die Bürger…

Migrantische Perspektiven auf die „Himmelfahrtskrawalle“

Vor 30 Jahren, am 12. Mai 1994, dem Himmelfahrtstag, jagten Dutzende bewaffnete Neonazis stundenlang Migrant*innen durch die Magdeburger Innenstadt und prügelten auf sie ein. Der Tag war einer der traurigen Höhepunkte der gewalttätigen „Baseballschlägerjahre“ in Ostdeutschland. Die damaligen pogromartigen Ausschreitungen erschütterten (nicht nur) Magdeburg und machten weltweit Schlagzeilen. Sie gingen unter dem Namen „Himmelfahrtskrawalle“ in die neueste Geschichte Deutschlands ein.

Der „Verein Nachbarschaftliches Cracau-Prester“ hat im Nachgang der rassistischen Angriffe Aussagen von Zeug*innen gesammelt und anonymisiert in einer Broschüre veröffentlicht. Zum heutigen 30. Jahrestag der Ereignisse veröffentlichen wir Aussagen von Migrant*innen zu den Geschehnissen am 12. Mai 1994, die wir dieser Broschüre und den im Internet zugänglichen Medienberichten entnommen haben – ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder Ausgewogenheit, sondern zur Erinnerung der Ereignisse und zur Wahrnehmung der migrantischen Perspektive.

„Ich war allein. Da hörte ich vom Karstadt her Rufe ‚Ausländer raus!‘. Ich sah Leute weglaufen. Ich sah auch an der Ecke vom Breiten Weg auf der Karstadt-Seite Leute mit Baseballschlägern und Plastikknüppeln.“

„Als ich die Straße bei der Ampel in Höhe der Johanniskirche überquerte, war da ein Polizeimann. Der hielt mich fest, riß mich am Hemd.“

„Zwei junge Schwarze, die wohl von den Vorfällen nichts wußten und gerade aus Mc Donald’s herauskamen, wurden sofort von den Rechtsradikalen angegriffen und alle Leute, die beim Café Flair saßen, mischten sich in das Gewühl ein. Plötzlich wurde wir auch von Rechtsradikalen umgeben vor den Augen der Polizei.“

„… es gelang ihnen sogar, die Scheiben der Straßenbahn, in der wir uns befanden zu zerschlagen und uns mit Steinen zu bewerfen.“

„Draußen … saßen deutsche junge Männer auf der Terrasse … Als wir vorbeigingen standen die auf und riefen u.a.: Ausländer raus! Dann ging alles ganz schnell: Die Nazis hatten Knüppel und ein paar warfen mit den Stühlen nach uns.“

„Wir wollten in einem Taxi fliehen und wurden nicht mitgenommen.“

„Niemand hat uns geholfen. Nicht die Polizei, nicht die Bürger von Magdeburg.“

„Seit Donnerstag wissen wir: Es kann jederzeit passieren, am hellichten Tag. Wir könnten getötet werden und keiner würde uns helfen.“

Veranstaltungen anlässlich des 30. Jahrestags der rassistischen „Himmelfahrtskrawalle“ | Gedenken an Torsten Lamprecht

Vor 30 Jahren, am 12. Mai 1994, dem Himmelfahrtstag, jagten Dutzende bewaffnete Neonazis stundenlang Migrant*innen durch die Magdeburger Innenstadt und prügelten auf sie ein. Zivilgesellschaftliche Initiativen nehmen dies zum Anlassen für Gedenkveranstaltungen.

So lädt die Auslandsgesellschaft Sachsen-Anhalt am Mittwoch, den 8. Mai 2024, ab 14.30 Uhr zu einer Gedenkveranstaltung in das einewelt haus. Von Montag, den 6. Mai 2024, bis Sonntag, den 12. Mai 2024, lädt ein breites antirassistisches Bündnis zur Aktionswoche im Gedenken an die Opfer rassistischer und rechter Gewalt in den 1990er Jahren. Alle Infos zum Programm finden sich bei Instagram und Facebook.

Teil der Aktionswoche ist am Samstag, den 11. Mai 2024, auch eine Gedenkveranstaltung für Torsten Lamprecht um 16 Uhr auf dem Neustädter Friedhof. Da wir am 9. Mai, dem „Herrentag“, eine störungsfreie und würdevolle Durchführung einer eigenen Gedenkkundgebung für Torsten Lamprecht nicht garantieren können, werden wir als BgR in diesem Jahr nur einen Gedenktext veröffentlichen und laden dazu ein, an der Gedenkveranstaltung der Antirassistischen Aktion am 11. Mai teilzunehmen.

Keine städtischen Räume für die rechtsextreme AfD

In einer gemeinsamen Pressemitteilung haben das Bündnis gegen Rechts und das Bündnis Solidarisches Magdeburg die Vermietung des AMO-Kulturhauses an die AfD Sachsen-Anhalt für ihren Landesparteitag am 3. März kritisiert.

Die Messe- und Veranstaltungsgesellschaft Magdeburg GmbH stellt der AfD zum wiederholten Male Räume für einen Parteitag zur Verfügung, ohne die Öffentlichkeit darüber zu informieren. Im Wissen, dass es sich bei der AfD um eine rechtsextreme Partei handelt, ist die MVGM aufgefordert, alle Möglichkeiten zu prüfen, der Partei städtische Räume zu versagen. Die Forderung der Politik nach dem Engagement der Bürgerinnen und Bürger für die Demokratie geht ins Leere, wenn seitens der demokratischen und kommunalen Institutionen nicht der Versuch unternommen wird, rechtsextremen Organisationen wie der AfD mit allen zu Geboten stehenden juristischen Mitteln entgegenzutreten.

Das Bündnis gegen Rechts und das Bündnis Solidarisches Magdeburg protestieren gegen die Vermietung städtischer Räume an die AfD. Dies ist vor dem Hintergrund der Erkenntnisse der letzten Wochen über diese Partei unverständlich und unverantwortlich. Die AfD wird ihren Landesparteitag dazu nutzen, rechtsextreme und rassistische Inhalte in die Öffentlichkeit zu tragen und für ihre antidemokratischen Ziele zu werben. Dies kann nicht im Sinne der MVGM und der Landeshauptstadt Magdeburg sein.

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Gedenken an die deportierten und ermordeten Sinti:zze und Rom:nja

Ausschnitt aus der Namensstele für die ermordeten Sinti:zze und Rom:nja. Zu sehen ein weißer Marmorblock mit der Inschrift: "Diese Namen sollen an das Schicksal der Sinti und Roma erinnern, die aus dem Lager am Holzweg-Silberberg am 1.3.1943 nach Auschwitz deportiert und ermordet wurden."

Vor 81 Jahren, am 1. März 1943, löste die Stadt Magdeburg das sogenannte Z…lager am Holzweg/Silberberg auf. Die Bewohner:innen wurden nach Auschwitz deportiert, wo 340 Sinti:zze und Rom:nja ermordet wurden. Miteinander e.V., das Bündnis gegen Rechts und die Stadtbibliothek Magdeburg laden zum Gedenken ein.

Die Gedenkveranstaltung findet am Freitag, den 1. März 2024, um 16.00 Uhr an der Namensstele beim Florapark (Olvenstedter Graseweg, Fußgängerzugang zum Florapark) statt. Die Ansprachen halten Regina-Dolores Stieler-Hinz, Bürgermeisterin und Beigeordnete für Kultur, Schule und Sport (angefragt) und Pascal Begrich, Geschäftsführer von Miteinander e.V.. Die Veranstaltung wird musikalisch durch den Akkordeonisten Martin Müller begleitet.

Zum Hintergrund

Am 4. März 1935 hatte die Stadtverwaltung Magdeburg die Errichtung eines „Z…lagers“ beschlossen. Ab Mai 1935 mussten hier alle Sinti:zze und Rom:nja der Stadt unter widrigen Lebensbedingungen wohnen. Am 1. März 1943 wurde das Lager in einer gemeinsamen Aktion von Gestapo und Polizei aufgelöst. Sämtliche Bewohner:innen wurden verhaftet und mit 10 bis 15 Lastwagen zum Magdeburger Polizeipräsidium gebracht. Weitere Sinti:zze und Rom:nja, die nicht im Lager gelebt hatten, wurden von der Polizei gewaltsam aus ihren Wohnungen gezerrt und ebenfalls im Polizeipräsidium inhaftiert. Tags darauf wurden die Inhaftierten zusammen mit Sinti:zze und Rom:nja aus der Region vom Güterbahnhof mit dem Zug nach Auschwitz deportiert. Von 470 Deportierten überlebten 340 die Liquidierung des dortigen „Z…lagers“ nicht. Insgesamt fielen dem Porajmos – dem Völkermord an den Sinti:zze und Rom:nja im Nationalsozialismus – mindestens 200.000 Menschen zum Opfer.

27. Todestag Frank Böttchers

Schwarz-Weiß-Porträt Frank Böttchers: Bild eines Jugendlichen mit kurzem "Irokesen"-Haarschnitt. Dazu ein Zitat seines Bruders Peter Böttcher: "Frank war ein ruhiger Mensch, der keiner Flieege etwas zu Leide tun konnte."

Wir laden zum Gedenken an Frank Böttcher ein

Vor 27 Jahren, am 8. Februar 1997, wurde der 17jährige Frank Böttcher von einem gleichaltrigen Neonazi getötet. Er wurde angegriffen, weil der Täter sich provoziert fühlte – vom Haarschnitt und der Kleidung des jungen Punks. Frank Böttcher musste sterben, weil Neonazis Minderheiten und alternative Jugendkulturen zum Feind erklärt hatten. Daran und an die Kontinuität von Menschenhass und rechter Gewalt möchten wir erinnern.

Für Donnerstag, den 8. Februar 2024, um 16 Uhr laden wir am Gedenkstein an der Haltestelle „Klinikum Olvenstedt“ zum Gedenken an Frank Böttcher ein.

Zum Hintergrund

Am Abend des 7. Februars 1997 wird Frank Böttcher von seiner weißen Hausratte „Speedy“ gebissen und entschließt sich nach Mitternacht, mit der Straßenbahn ins Krankenhaus nach Neu-Olvenstedt zu fahren, um den Biss dort behandeln zu lassen. Schon auf dem Weg wird er von drei Naziskinheads angepöbelt und als „Zecke“ beschimpft. Nach der Behandlung verlässt Frank Böttcher das Krankenhaus und geht zur circa einhundert Meter entfernten Straßenbahnhaltestelle zurück. Dort findet ein Jugendlicher ihn gegen 4 Uhr morgens auf dem Bürgersteig: blutüberströmt, mit sieben Stichverletzungen und einem Schädel-Basisbruch. Frank Böttcher stirbt gegen 5:30 Uhr in der Intensivstation des Krankenhauses.

Seitdem sind 27 Jahre vergangen. 27 Jahre, in denen das Engagement gegen Rassismus und Rechtsextremismus wichtige Erfolge erzielte. Aber auch heute sind Hass und rechte Gewalt Teil des Alltags – auf der Straße und in den Sozialen Medien. Noch immer werden die Menschenwürde und eine vielfältige Gesellschaft in Frage gestellt. Das Bündnis gegen Rechts Magdeburg möchte an Frank Böttcher erinnern und zugleich ein Zeichen setzen für eine offene und demokratische Gesellschaft, in der jede:r angstfrei leben kann.